Daniela Hensels Vision für Berlin 2030: „Eine Verwaltung, die nahe an der Lebenswirklichkeit der Menschen ist“
Rekordverdächtige Wartezeiten, unfreundlicher Umgangston, unverständliche Schreiben. Während man in anderen Kommunen längst die Ärmel hochkrempelt, herrscht hier vielerorts Resignation – trotz der in Gang gesetzten Verwaltungsreform.
Dabei gibt es bereits heute in Berlin großartige Initiativen, die zu einer empathischeren, funktionierenden Verwaltung beitragen. Diese stellen sich Fragen wie: Was brauchen die Menschen dieser Stadt? Wer wird bisher nicht berücksichtigt? Wo wird es unnötig kompliziert? Leider gehen diese sogenannten nutzerzentrierten Ansätze im Alltagslärm oft unter. Diese Leuchttürme dürfen nicht länger isoliert bleiben und bescheiden vor sich hin schimmern – sie müssen vielmehr Taktgeber für die gesamte Stadt werden.
Eine verständliche Verwaltung baut viele Hürden ab
Viele Menschen empfinden Schreiben vom Amt als bedrohlich: Der Ton, die Fachbegriffe, die Unübersichtlichkeit – all das schreckt ab, wirft Fragen auf und verursacht so enorme Mehraufwände für die Mitarbeitenden in Verwaltungen. Einzelne Abteilungen gehen erste Schritte: Sie analysieren ihre Schreiben, identifizieren Stolpersteine und gründen Schreibwerkstätten. Häufig aus Eigeninitiative, ohne Rückendeckung durch Führungskräfte. Im besten Fall lässt man sie gewähren.

Daniela Hensel ist Professorin für Public Design an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Als Service Expertin berät sie unter anderem die BVG.
Verständlichkeit im Einklang mit Rechtssicherheit muss jedoch in allen Verwaltungen eine ernstgemeinte Zielvorgabe werden und von den Führungskräften nicht nur vorgelebt werden; es müssen auch Ressourcen geschaffen werden, damit Mitarbeitende sich hierzu weiterbilden können.
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Wie will Verwaltung wahrgenommen werden?
Auch was die Räumlichkeiten von Ämtern angeht, zeigt sich eine mangelnde Sensibilität für die eigene Wirkung. In einer Stadt mit glamourösen Kulturorten und hippen Start-ups gehören viele Bezirksämter zu den unansehnlichsten Orten überhaupt. Diese Kontaktpunkte sind verschenktes Potenzial, um einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Bezirksämter könnten Orte sein, an denen Verwaltung als hilfreich und menschlich wahrgenommen wird.
Mehrere Behörden, die sich thematisch ergänzen, sollten auch räumlich unter einem Dach sein, sodass Termine miteinander verbunden werden können und die sonst so langen Wege entfallen. Service- und Beratungs-Angebote, die den meisten gar nicht bekannt sind, können sichtbarer und somit bekannter werden. Die Wartezeit mit Kindern kann deutlich angenehmer gemacht werden und Menschen mit Beeinträchtigungen würden an der Einrichtung erkennen, dass sie ebenfalls berücksichtigt wurden – über den verpflichtenden Behinderteneingang hinaus.
Ein Innovationslabor als Impulsgeber
Das CityLab Berlin ist erst sechs Jahre alt, aber längst nicht mehr wegzudenken. Hier nur zwei Projekte von vielen, die zeigen, was in diesem Bereich möglich ist: Eine digitale Willkommensplattform, die zugewanderten Menschen den Zugang zu relevanten Informationen erleichtert und die Webseite „Fairgnügen“, die ermäßigte oder kostenfreie Angebote für Menschen mit geringem Einkommen bündelt.
Doch das CityLab allein reicht nicht aus. Die Arbeitsweise, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, muss auch in den IT-Institutionen dieser Stadt Eingang finden. Statt einer „ja, aber“-Kultur, die gute Ideen regelmäßig zum Stillstand bringt, brauchen wir dringend eine „ja, und“-Haltung. Darüber hinaus müssen wir ein stärkeres Netzwerk aus Start-ups, Hochschulen und Verwaltung aufbauen, um mehr innovative Ansätze passgenau für die Berliner Verwaltung entwickeln zu können.
Apropos Digital: Wie lassen wir niemanden zurück?
Natürlich soll alles digitaler werden – Überweisungen, Ticketkäufe, Anträge. Doch wer keine analogen Alternativen mehr anbietet, grenzt aus. 26 Prozent der Berliner und Berlinerinnen befinden sich in der sogenannten digitalen Nutzungslücke. Das sind nicht nur Ältere, sondern auch Jüngere ohne Zugang zu Computern oder digitaler Bildung.
Serie „Berlin 2030“
In unserer Serie „Berlin 2030“ wollen wir konstruktive Lösungen für die Herausforderungen der Hauptstadt finden und dabei helfen, positiv in die Zukunft zu schauen. Dafür sprechen wir mit Vordenkerinnen und Visionären, mit Wirtschaftsvertretern, mit Kulturschaffenden, mit Stadtplanern, mit Wissenschaftlerinnen und Politikern.
In Gastbeiträgen fragen wir sie nach ihrer Vision für Berlin. Wie soll Berlin im Jahr 2030 aussehen? Welche Ideen haben sie für die Zukunft unserer Stadt? Und welche Weichen müssen dafür jetzt gestellt werden?
Die Beiträge der Serie stammen unter anderem von Kai Wegner, Renate Künast, Ulrike Demmer, Tim Raue, Mo Asumang und Christian Schertz. Alle bisher erschienen Beiträge finden Sie hier.
Am 28. April ab 19.30 Uhr stellen wir die Vorschläge aus der Serie in einer Veranstaltung mit Podiumsdiskussion im Deutschen Theater vor. Tickets gibt es unter veranstaltungen.tagesspiegel.de.
Sie haben auch eine Idee? Schicken Sie uns Ihre Vorschläge an: checkpoint@tagesspiegel.de.
An 22 Berliner Bibliotheken unterstützen mittlerweile Mitarbeitende – auch „Digitale Zebras“ genannt – Menschen dabei, einfache digitale Aufgaben zu bewältigen. Das Angebot ist niedrigschwellig, wird gut angenommen und braucht dringend Verstetigung und Ausbau. Der Bedarf ist immens, das Modell beispielhaft. Gleichzeitig bietet diese Schnittstelle noch viel ungenutztes Forschungspotential, denn genau hier können wir wertvolle Erkenntnisse sammeln, wie wir Menschen zukünftig helfen können, digitale Barrieren zu überwinden.
Veränderung braucht Wissen und Rückhalt
Verwaltung kann nicht einfach per Erlass transformiert werden. Dafür braucht es Menschen innerhalb der Verwaltung, die Wandel moderieren und gestalten können. Mitarbeitende müssen verstehen, warum es sinnvoll ist, die Nutzenden selbst ins Zentrum der eigenen Überlegungen zu stellen.
Sind Bürgerinnen und Bürger weniger frustriert, dann entlastet das auch die Verwaltung selbst. Methodenkenntnis und Moderationskompetenz fehlen bislang weitgehend. Gerade Führungskräfte müssen hier aufholen und verstehen, wie sie ihre Mitarbeitenden bei Veränderungsprozessen unterstützen können. Um dies langfristig zu ändern, braucht es ein strategisches Zusammenwirken von Senat, Verwaltungsakademie und Hochschulen.
Die gute Nachricht ist: Im April startet an der HTW Berlin der Masterstudiengang „Public Design“. Studierende aus verschiedenen Disziplinen lernen dort, wie man Transformationsprozesse initiiert und begleitet. Das Ziel: ein Netzwerk aufbauen, das Impulse aus Kommunen und Landesebene mit Lehr- und Forschungsprojekten verknüpft.
Warum nicht voneinander lernen?
Wir sollten großzügiger werden im Umgang mit guten Lösungen – unabhängig von Bezirksgrenzen oder Parteizugehörigkeit. Warum nicht fragen: Wie macht ihr das in Pankow? Was läuft gut in Treptow-Köpenick? In Berlin wird oft versucht, eigene Lösungen zu verstecken, statt sie zu teilen. Gute Ideen werden verteidigt wie ein Geheimrezept.
Dabei könnten wir viel voneinander lernen – nicht nur innerhalb der Stadt, sondern auch von der sogenannten Provinz. In kleineren Städten wie Wiesbaden, Heidelberg oder Herrenberg entstehen bemerkenswerte Verwaltungsinnovationen – trotz (oder gerade wegen) begrenzter Ressourcen. Sie haben neue Schulungsformate und digitale Prozesse entwickelt, die als Vorbild dienen können. Einen Überblick bietet der jährlich vergebene „Preis für gute Verwaltung“.
Das dickste Brett: Der Kulturwandel
Am Ende ist es eine Frage der Haltung. Es braucht eine Kultur, in der es selbstverständlich ist, den eigenen Schreibtisch zu verlassen und Dinge infrage zu stellen. Eine Kultur, in der Mitarbeitende mit Neugier erkunden, was die Menschen in dieser Stadt benötigen. Aktuell erleben viele Bürgerinnen und Bürger und dass ihre Meinung nicht zählt. „Interessiert doch eh keinen“, ist ein verbreitetes Gefühl. Falsch. Genau jetzt, in dieser Phase des Wandels, werden sie gebraucht.
Wo Unternehmen längst mit Kundenräten arbeiten, brauchen Verwaltungen dauerhaft installierte und divers besetzte Bürgerräte. Neue Verwaltungsprozesse sollten erst dann starten, wenn sie mit den Bürgerräten gemeinsam entwickelt und getestet wurden. Nur so können wir eine Verwaltung gestalten, die nahe an der Lebenswirklichkeit der Menschen ist. Berlin hätte die Chance, hier Vorreiter zu werden. Wir müssen nur alle aufhören, uns in Zynismus zu verlieren – und stattdessen gezielt auf die Menschen und Institutionen schauen, die heute schon mutig vorangehen.