Anleitung zum Ehebruch
Dieser schmale Band ist prall gefüllt mit Liebesbekundungen und Körpererkundungen, so wie sich das für ein Buch aus dem Genre Fremdgeher-Literatur gehört. Der Ich-Erzähler feiert die Haut, die einer Person gehört, die eigentlich an jemand anderen gebunden ist. Er dichtet über zerknautscht zurückgelassene Bettlaken in Hotelzimmern, in denen noch die Wärme der körperlichen Vereinigung gespeichert ist. Jede einzelne Körperregion der Geliebten wird besungen und gepriesen wie die Entdeckung eines fremden Kontinents.
Bauch, Beine, Po: Das klingt, aufgeschrieben von einem Franzosen, eben nicht wie eine technische Ertüchtigungsformel, sondern wie eine Gebetsanleitung. Man kennt diese herrliche Veredelung und aberwitzige Erhöhung der Lotterliebelei aus den großen französischen Filmen, aus Rohmers »Liebe am Nachmittag«, aus Truffauts »Der Mann, der die Frauen liebte« und natürlich aus Malles »Die Liebenden«.
Einst benutzte man für eine solch rasende, unkontrollierte, ethische Kleinlichkeiten wegschwitzende Leidenschaft den Begriff Amour fou. Er wird heute nicht mehr oft verwendet – auch nicht von Nicolas Mathieu, der in seiner Liebesnovelle »Jede Sekunde« eben dieses klassische Franzosenthema beleuchtet: die Kunst des Ehebruchs. Anders als seinen künstlerischen Vorgängern geht es dem Schriftsteller aber nicht allein um klandestine Leidenschaft, sondern auch um die politischen Implikationen, die in ihr liegen können.
Die Affäre als subversiver Akt
Mathieu ist bekannt geworden mit seinem Roman »Wie später ihre Kinder« über den Niedergang der Arbeiterklasse in Frankreich. Zuletzt beschrieb er in »Connemara«, wie unter Emmanuel Macron die Provinzpolitik auf neoliberale Linie gebracht wurde und wie sich das auf das Lieben und Begehren der Menschen auswirkte. In seinem neuen Buch legt er nun nahe, dass eine Affäre unter gewissen Umständen auch ein subversiver Akt sein könnte.
Denn die vermeintliche Flüchtigkeit der gesellschaftlich nicht beurkundeten, geheimen Beziehung ist vielleicht gerade in Zeiten von Social Media die radikalste Form der Leidenschaft. Heutzutage wird Liebe oft auch danach bemessen, wie sie sich über Instagram und Co. öffentlich wertschöpfen lässt. Der Sex hinter verschlossenen Hoteltüren läuft dieser Verwertungslogik entgegen: Er ist möglicherweise gerade deshalb ein Akt der reinsten Hingabe, weil er nicht geteilt, gelikt oder sonstwie sozialökonomisch kapitalisiert werden kann.
Mathieus Anleitung zum Ehebruch ist somit eher ein Denkvergnügen als ein Sinnlichkeitsversprechen. Kleiner praktischer Nebeneffekt: Wenn Sie das nächste Mal fremdgehen, könnten Sie das Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin später als politische Notwehr verkaufen.
Nicolas Mathieu: Die Affäre als politische Notwendigkeit
Foto: Camille Cier / Hans Lucas / Hanser Berlin