Erwachsenwerden in Zeitlupe

Als die Sängerin Lorde  am Dienstag eine Instagram-Story aus dem Washington Square Park in New York postete, verstanden ihre Fans die Bedeutung sofort: Zu Hunderten kamen sie abends in dem Park zusammen. Um 19 Uhr Ortszeit, so hatte es die Musikerin in ihrem Beitrag angedeutet, würde etwas passieren.

Die Menge hoffte, dass Lorde ihren noch unveröffentlichten Track »What Was That?« präsentiert. Zuletzt war ein Ausschnitt daraus auf TikTok viral gegangen. Und tatsächlich hatte die Künstlerin für den Abend ein spontan anmutendes Konzert geplant, nur: Parkwächter und Polizei machten da nicht mit. Der Sängerin fehlte für die Performance eine Genehmigung.

»Ich bin ehrlich erstaunt, wie viele von euch gekommen sind!!! Aber sie sagen, ihr müsst euch verteilen … Es tut mir so leid«, schrieb die 28-Jährige der versammelten Menge auf Social Media zur Absage der Aktion. Die Menschen reagierten darauf mit Buhrufen, skandierten im Chor: »Wir wollen Lorde.«

So wurde die Aktion auch ohne Konzert zu einem Spektakel. Wobei die Sängerin zu späterer Stunde doch noch einen Weg zu zumindest einer kleinen, improvisatorischen Einlage fand: Videos zeigen, wie Lorde umgeben von einer Menschenmenge auf einem Holzschemel steht und zu ihrem neuen Track tanzt – den sie jedoch nicht live, sondern aus großen Musikboxen spielt.

Die Aktion wirkte dadurch unschuldig, auf eine Art jugendlich nahbar. »Weiß Lorde, dass sie berühmt ist?«, fragte das »New York Magazine«  am nächsten Tag.

Wobei die Frage auch lauten könnte: Ist sie tatsächlich so naiv, oder war das am Ende gar eine gelungene PR-Aktion? Schließlich könnte man eigentlich meinen, dass eine zweifache Grammy-Gewinnerin, deren Musik weltweit Charterfolge feierte, doch eigentlich um ihre Anziehungskraft wissen muss. Stattdessen wirkte Lorde in ihrem Überraschtsein fast schon wie ein Teenager, der gar nicht fassen kann, wie viele Menschen da zu seiner Party gekommen sind.

Das passt zu Lorde – beziehungsweise zu dem Image, das die Sängerin vor allem zu Beginn ihrer Karriere hatte: ein eher introvertiertes Mädchen, das über die Hochs und Tiefs des Erwachsenwerdens singt. Das Musik für die traurigen Kids ihrer Generation macht.

So war Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, wie die neuseeländische Künstlerin mit bürgerlichem Namen heißt, gerade mal 16 Jahre alt, als sie mit ihrem Debütalbum »Pure Heroine« 2013 ihren weltweiten Durchbruch feierte. Dabei klingen Tracks wie »Ribs«, »Tennis Court« und nicht zuletzt »Royals«, ihr bislang erfolgreichster Song, wie die perfekte Filmmusik für einen Coming-of-Age-Roman der Zehnerjahre. Sie handeln von Liebeskummer und Unsicherheit. Dem Gefühl, die Welt stehe einem offen und mache gleichzeitig Angst.

Diese Melancholie fand bei ihren Altersgenossen Anklang. Gerade auf der Plattform Tumblr, dem damaligen Onlinetreffpunkt aller Emo-Girlies, wurden ihre Texte und Fotos vielfach geteilt. Lorde wurde damit auf ihre Weise zum Social-Media-Star und hielt gleichzeitig ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit weitgehend heraus. Bis es im Laufe der Jahre immer stiller um sie wurde.

Zwar veröffentlichte die Sängerin nach »Pure Heroine« noch zwei weitere Alben, »Melodrama« (2017) und »Solar Power« (2021). Zwischen und nach den Releases zog sie sich jedoch immer wieder von Social Media zurück und veröffentlichte auch sonst kaum Musik – bis Charli xcx vergangenes Jahr »brat«  herausbrachte.

Mit ihrem aktuellen Album hatte die britische Musikerin nicht nur einen popkulturellen Moment geschaffen, sondern ganz zu Beginn auch mit dem Song »girl, so confusing« für Spekulationen gesorgt. Der Track handelt von der Rivalität zwischen Charli und einer anderen Künstlerin. Fans ahnten: Es muss wohl um Lorde gehen. Sie behielten recht.

Die beiden Musikerinnen veröffentlichten im Juni 2024 eine gemeinsame Version des Tracks, in dem Lorde ihre Unsicherheiten offenlegte und erklärte, sie sei von Charli, mit der sie ständig optisch und musikalisch verglichen wurde, in der Vergangenheit eingeschüchtert gewesen. Damit war das Schweigen gebrochen und der Grundstein für neue Musik gelegt: Lorde, wie sie ihre Fans kennen und lieben, war wieder da.

Ein Flashback aus der Jugendzeit

Etwa zehn Monate später, Anfang April, teilte die Musikerin dann ein 15-sekündiges Video auf TikTok . Es zeigt die Künstlerin bei einem Spaziergang im Washington Square Park – eben dem Ort, wo sie am Dienstagabend ihren neuen Song aufführen wollte. Im Hintergrund läuft ein Ausschnitt von »What Was That?«. Der Song handelt von Jugendliebe, Drogentrips und der, in der Retrospektive, besten Zigarette des Lebens.

Damit scheint Lorde genau an das anzuknüpfen, worauf sich viele ihrer Fans seit Wochen und Monaten freuen: eine Zeitreise zurück in die Zehnerjahre. Die Zeit, in der Lorde und ihre Anhänger erwachsen geworden sind. Gleichzeitig kündigte sie kürzlich bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit Charli xcx beim Coachella-Festival an, dass sich »alles ändern wird« – ob das die Ankündigung für ein neues Album ist? Die Gerüchte auf Social Media brodeln, doch die Künstlerin hält sich bislang wie so häufig bedeckt.

Lorde bei der Met Gala 2021: Machte Musik für die Emo-Girlies ihrer Generation

Foto: Angela Weiss / AFP

Auftritt von Charli xcx beim Coachella: Folgt jetzt der Lorde-Sommer?

Foto: Daniel Cole / REUTERS